Babyalarm im Freundeskreis: Wenn immer mehr befreundete Pärchen Kinder bekommen, kann das für die Freundschaft zu den Single-Freunden oder den Paaren, die einfach noch keinen Kinderwunsch hegen oder keine Kinder bekommen möchten, zur Zerreißprobe führen.
Denn während für die frisch gebackenen Eltern der Nachwuchs zum neuen Lebensmittelpunkt wird, fallen ehemalige Freundesaktivitäten, Gesprächsthemen oder sogar Lebenseinstellungen schnell hintenüber.
Ist das nun aber auf die Zeitengpässe und dem möglicherweise mangelndem Interesse der frisch gebackenen Eltern oder auf die möglichen Anpassungsschwierigkeiten des Freundeskreises zurückzuführen?
Plötzlich ist das Kinderthema allgegenwärtig
Als sich Sarah Diehl dazu entschied das Buch „Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich“ zu schreiben, war sie Mitte 30 und konnte sich nur schwer den Hinweisen auf ihre tickende biologische Uhr und den Nachfragen, wann es bei ihr denn endlich soweit sei, entziehen.
„Frauen haben heute unzählige Möglichkeiten, mehr als je zuvor, sich beruflich und individuell zu entfalten. Doch je älter sie werden, umso mehr verengt sich das Spektrum auf die nicht vorhandene Mutterschaft.“
Bei Männern sei das anders, stellt sie fest: „Er hatte nie ein Image, höchstens das des attraktiven Abenteurers, das des einsamen Wolfs, den es zu zähmen gilt.“
Bei einer Thematik sitzen Frauen und Männer allerdings weitestgehend im gleichen Boot: Und zwar, wenn es darum geht, einen Weg damit zu finden, wenn nach und nach alle im Freundeskreis Eltern werden.
Wenn die Freunde zu Eltern werden
Plötzlich heißt es „Adé!“ zu spontanen Verabredungen, Barabenden, durchtanzte Nächte, kurzfristigen Wochenendtrips oder das Versacken auf der Couch nach einem exzessiven Serienabend mit spontanem Sleepover.
Die Gesprächsthemen sind mit einem Mal bei vielen frischgebackenen Eltern dominiert von Kinderwagenvergleichen, Windelpreisen sowie einem regelmäßigen Update über die Höchstleistung an durchgehender Schlafdauer des neuen Familienmitglieds.
Und wenn man seine Freundinnen und Freunde, die gerade Eltern geworden sind, mal ohne tiefe Ränder unter den Augen und völlig entspannt erlebt, grenzt das schon an ein Wunder.
Gar nicht so leicht die alte Freundschaft unter diesen neuen Bedingungen so fortzusetzen wie bisher.
Wie Kinderfreie ihre „Elternfreunde“ erleben
Was diese Veränderungen in der Freundschaft bei den noch verbliebenden Kinderfreien auslösen kann, lässt sich beispielhaft anhand einiger Interviews ablesen, die Sarah Diehl für ihr Buch geführt hat.
Sandra, eine Kunsthistorikerin aus Leipzig, erzählt zum Beispiel:
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„Mein Partner und ich passen gerne auf den Nachwuchs von Freunden und Nachbarn auf. Das macht Spaß und es entlastet die Eltern. Aber es nervt manchmal ein bisschen, dass sie im Gegenzug nicht versuchen, auf einer anderen Ebene Zeit für unsere Freundschaft aufzubringen“, ergänzt sie.
Die Journalistin Elena muss als Kinderlose dagegen teilweise mit dem Gefühl von Ausgeschlossenheit kämpfen: „Ich dachte, hier in Berlin wird das kein Problem; aber…“
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Noch drastischer nimmt es Bea wahr: „Manche Eltern kommen mir vor wie Drogenabhängige auf Entzug; sie müssen ihr ganzes Leben ändern und sich manchmal sogar von mir und meinem vielseitigen Leben fernhalten, um clean zu bleiben. Ich bin in meinem Freundeskreis für viele Symbolfigur für das wildere, freiere Leben geworden, das nun für sie selbst vorbei ist.“
Und wie nehmen das die Elternfreunde selbst wahr?
In einem Gespräch mit ‚pädiko‘, Träger von Kindertageseinrichtungen in Kiel und dem Kieler Umland, erfährt FIT FOR FUN, dass gerade in den ersten Jahren nach der Geburt eines Kindes zwar die Vereinbarkeit von Job und Hobbies durchaus Teil der Beratungsgespräche ist, aber die Eltern Beziehungsschwierigkeiten zu ehemaligen Freundinnen und Freunden scheinbar weniger intensiv zu beschäftigen scheint.
„Zumindest sind Vereinbarkeitsprobleme in dieser Richtung bisher noch nie von den Eltern als Thema aufgebracht worden“, reflektiert Julia Zdrenka ihre siebenjährige Leitungstätigkeit.
Das muss nicht bedeuten, dass ehemalige Freundschaften durch die neuen Lebensumstände grundsätzlich an Wert verloren hätten. Aber sie sind möglicherweise weniger vorrangig als andere Themen, die vor allem frisch gewordene Eltern beschäftigen.
„Hier steht vor allem erst einmal der Wunsch nach Weiterbildung und Austausch in Bezug auf das Kind bzw. die Kinder im Vordergrund“ , erzählt Julia Zdrenka. Um genau diesen Austausch weiter zu fördern, seien viele Eltern auch sehr daran interessiert, Freundschaften zu anderen Elternpaaren zu knüpfen.
Verlangt das Modell von Elternschaft zu viel ab?
Gehen Eltern in ihrer neuen Rolle also tendenziell so sehr auf, dass sie das kinderlose Umfeld außerhalb ihrer neuen Kleinfamilie zumindest unbewusst eher ausblenden, wenn es nicht in irgendeiner Weise zur neuen Situation durch Austausch oder direkte Unterstützung beiträgt?
In „Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich“, wagt sich die Autorin noch an eine andere Erklärung heran, indem sie die neuen Erwartungen an Eltern hervorhebt, die immer weiter zunehmen und die verunsicherten Eltern darüber in die prekäre Situation bringen, es einfach nichts und niemandem Recht machen zu können.
Zu diesen Erwartungen gehöre zum Beispiel, dass das heutige Modell von Elternschaft verlange, den Nachwuchs vom ersten Tag an optimal zu fördern.
So schildert Sarah Diehl so humorvoll wie mitfühlend: „‚Nebenbei erwachsen‘ wird heute kaum noch jemand. Dutzende Regalmeter an Ratgeberliteratur begleiten den ersten Schrei ebenso wie das Kommunikationsloch zwischen Eltern und Kind während der Pubertät, sie geben Auskunft darüber, wie man bereits beim Säugling Hochbegabungen rechtzeitig erkennt, welche Speisen ein halbes Jahrhundert später das Schlaganfallsrisiko reduzieren können oder wie Yogakurse den Weg zum Abitur ebnen.“
Auf Basis dieser Erklärung überrascht es dann vielleicht nicht mehr, wenn die 26-jährige Ellen, die in einem Kinderladen arbeitet, beobachtet, dass die meisten Eltern – insbesondere die Mütter – „tendenziell gestresst, genervt und übermüdet“ sind.
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„Ich denke, dass viele Mütter sich schlecht fühlen, wenn sie ihre Energie nicht zu jundert Prozent in die Erziehung ihres Kindes stecken. Das wird ihnen ja auch immer wieder unter die Nase gerieben“, so die Verkäuferin.
Der besondere Stellenwert in Zeiten von „Babyalarm“
Vielleicht haben kinderlose Freunde daher doch einen wichtigeren Einfluss, als sie beizeiten selbst erkennen mögen.
Als „Mitanpackerinnen“ und „Mitanpacker“ sowieso, aber darüber hinaus hat eine weitere Interviewpartnerin der Schriftstellerin, Kathrin, auch ihren besonderen Stellenwert als Seelsorgerin, den sie für ihre Freundinnen einnimmt, erkannt:
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„Von ihren Mütterfreundinnen kriegen sie gleich einen auf den Deckel, wenn sie sagen, dass sie die Schnauze voll haben.“
Denn darf das auch mal sein. Übrigens ohne, dass dabei gleich davon ausgegangen wird, dass die sich beklagenden Eltern damit ihre grundsätzliche Entscheidung für Kinder in Frage stellen.
Denn in der Hinsicht gibt es nunmal gar keinen Weg zurück mehr: Die eigenen Freunde sind und bleiben Eltern – jetzt sollte es nur noch darum gehen, zu versuchen, die alte Freundschaft auf einem neuen und damit veränderten Level fortzuführen.
Im besten Fall so, dass dieses neue Freundschaftslevel dem ehemaligen Freundschaftsverhältnis zumindest an Verständnis und Offenheit in nichts nachsteht.
Quelle
- Sarah Diehl: „Die Uhr, die nicht tickt. Kinderlos glücklich“, Arche
Larissa Hellmund
*Der Beitrag „Babyalarm: Wenn Freunde Eltern werden: Was macht es mit Freundschaften?“ wird veröffentlicht von FitForFun. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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