Im Januar liegt im Briefkasten von Ingrid Oligschläger aus Hannover ein Schreiben, das ihr die Sprache verschlägt. Der Brief enthält ein Informationsschreiben des niedersächsischen Gesundheitsministeriums, wie die Hannoversche Allgemeine Zeitung (HAZ) berichtet. "Es ist soweit: Niedersachsen impft auch zu Hause lebende Personen, die 80 Jahre und älter sind!" Es folgen Informationen zum Impfvorgehen in Niedersachsen und ein Hinweis zur Terminvereinbarung: "Wenn Sie 80 Jahre alt oder älter als 80 Jahre alt sind, dann gehören Sie zu den Personen, die ab 28. Januar 2021 einen Termin für Ihre Impfung im Februar reservieren können. Die Impfung ist für Sie kostenlos. Den Impftermin können Sie telefonisch reservieren."
Adressatin des Briefs ist jedoch nicht Ingrid Oligschläger, wie sie der Zeitung erzählt. Auf dem Umschlag steht der Name ihres Mannes, Gerhard Oligschläger. Und der ist schon seit 25 Jahren tot.
Der Brief wühlt die Rentnerin auf. "Das hat mich innerlich erregt. Es war schließlich keine Reklame, sondern ein wichtiges Schreiben."
Niedersachsen nutzt Dienstleister für Coronavirus-Infoschreiben
210.000 solcher Informationsschreiben hat das Gesundheitsministerium in Hannover an Personen ab dem 80. Lebensjahr verschickt – oder besser: verschicken lassen. Das Haus von Ministerin Carola Reimann (SPD) hat damit einen Dienstleister beauftragt, die Deutsche Post Direkt GmbH. Und das Unternehmen hat aus Datenschutzgründen keinen Zugriff auf die offiziellen Meldedaten, sondern nutzt die eigene sogenannte Vermietdatenbank für den Versand der Schreiben.
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Das Problem: Die kommerzielle Datenbank ist weder so vollständig noch so aktuell wie die Behördenkarteien. Solch bittere Pannen wie im Fall von Ingrid Oligschläger seien die Folge, wie Oliver Grimm, der Sprecher des Ministeriums in der HAZ einräumt: "Bei einem derart großen Kreis von Adressatinnen und Adressaten bleiben solche Fehler nicht aus, auch wenn wir uns das anders gewünscht hätten." Der Landesregierung seien weitere solcher Fälle bekannt. Man bedauere die Panne, heißt es weiter.
Niedersachsen steht nicht alleine da. Auch in der Hauptstadt Berlin erhielten Verstorbene ähnliche Informationsschreiben. Besonderes pikant: Bei den Verstorbenen handelt es sich auch um Menschen, die kürzlich an oder mit einer Covid-19-Infektion verstorben sind. Einer von ihnen ist Wolfgang W. Er starb am 11. Dezember mit einer Coronavirus-Infektion, vermutlich hat sich der Alt-Tempelhofer im Krankenhaus angesteckt.
„Wie ein Messerstich in eine vorhandene Wunde“
Seine Tochter Gabriele D. berichtet dem Berliner "Tagesspiegel" Mitte Januar, dass Sie eine an ihren Vater gerichtete Einladung der Berliner Behörden erhalten hab, drei Wochen nach dessen Tod. "Sehr geehrter Herr W.“, heißt es darin an den Verstorbenen. "Seit Beginn des zurückliegenden Jahres seien in Deutschland und weltweit zahlreiche Todesfälle in Zusammenhang mit dem neuartigen Coronavirus aufgetreten." Man sei erfreut, mitteilen zu können, dass nunmehr ein Impfstoff zur Verfügung steht.
Sie sei "erschüttert", sagt Gabriele D. dem Blatt. "Neben all dem Kummer und der Trauer ist das wie ein Messerstich in eine vorhandene Wunde. (…) Wenn ich sage, dass ich mich verhöhnt fühle, ist das sehr mild ausgedrückt."
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Gabriele D. steht mit ihrem Gefühl nicht alleine da. Weitere Betroffene äußerten ihren Ärger in den Medien. Insgesamt sind in Berlin laut Robert-Koch-Institut fast 2000 Menschen am oder mit dem Coronavirus verstorben, rund 1300 davon waren älter als 80 Jahre, sodass diese Behördenpanne noch vielen weiteren Hinterbliebenen zu einem bitteren Schreck führen kann. Wo der Fehler in der Haupstadt liegt, bleibt vorerst unklar. "[…] wegen des hohen Anfrageaufkommens müssen wir um Geduld bitten", antwortet die Gesundheitsverwaltung des Senats auf "Tagesspiegel"-Anfrage.
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