Spätestens seit der zweiten Corona-Welle im November des vergangenen Jahres hatten viele einen Corona-Kranken in der Familie oder im Bekanntenkreis. Die meisten – vor allem jüngeren – Menschen fühlen sich spätestens nach rund zwei bis drei Wochen besser, laut dem RKI kann die Quarantäne meist schon vorher (frühestens zehn Tage nach Symptombeginn) wieder aufgehoben werden (mehr dazu finden Sie hier.)
Immer häufiger kommt deshalb die Frage auf, was die Corona-Genesenen nach ihrer Gesundung dürfen und wie gefährlich sie noch für andere Menschen sind.
Nehmen wir an, die beste Freundin hat einen positiven Corona-Test und erste Symptome. Sie isoliert sich in ihrer Wohnung, Familie und Freunde stellen ihr Essen vor die Tür. Nach einem leichten Verlauf mit etwas Kopfweh, trockenem Husten und zeitweisem Geruchsverlust kommt sie aber schnell wieder auf die Beine. Nach zehn Tagen kommt der Anruf: »Ich bin wieder gesund, lass uns treffen, ich kann niemanden mehr anstecken!«.
Hat diese Freundin recht, kann ich mich wirklich nicht mehr bei ihr anstecken? Und bin ich gerade mit ihr dauerhaft sicher, weil sie jetzt immun ist?
Die Antwort der Medizin ist ein »Im Prinzip ja, aber«, denn es gibt entscheidende Ausnahmen.
Siegeszug der Antikörper
»Die allermeisten Coronapatienten infizieren sich nur einmal mit Sars-CoV-2«, erklärt Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie von der München Klinik Schwabing. »Wir konnten nachweisen, dass es bei rund 50 Prozent der Menschen schon nach acht Tagen eine Immunreaktion gab.« Nach 14 Tagen hatte diese bei allen Patienten eingesetzt.
Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie von der München Klinik Schwabing
In der frühen Phase einer Infektion bilden sich zunächst sogenannte IgA- und IgM-Antikörper. Sie binden an typische Stellen des Virus und kennzeichnen es dadurch für andere Bestandteile des Immunsystems als schädlich. Später entstehen sogenannte IgG-Antikörper, die eine Immunität vermitteln.
Antikörper sind in der Lage, ein Virus unschädlich zu machen, indem sie verhindern, dass es in Zellen eindringt. Hat ein genesener Covid-19-Patient ausreichend solcher Antikörper produziert, kann er das Virus, wenn er ihm erneut ausgesetzt ist, also direkt abwehren – und gibt das Virus demnach auch nicht mehr an andere weiter: »Bei 99 Prozent der Menschen können wir davon ausgehen, dass sie für andere Menschen nicht mehr gefährlich sind«, sagt Wendtner.
Marylyn Addo, leitende Infektiologin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), formuliert es etwas vorsichtiger: »Die Mehrheit der Covid-19 Genesenen hat einen teilweisen Immunschutz gegen eine erneute Erkrankung«, sagt sie. Eine Reinfektion sei laut aktueller Datenlage nicht häufig. Auch wenn der Ex-Corona-Kranke das Virus erneut über die Atemwege aufnehme, sei das Risiko, es weiterzuverbreiten, gering.
Normalerweise schleudern Infizierte das Virus mit jedem Niesen, Husten oder auch beim Sprechen aus dem Rachenraum in die Umwelt. Bei Menschen, die bereits eine Infektion durchgemacht haben, kommt es bei einem erneuten Kontakt in der Regel gar nicht erst so weit. »Covid-19-Genesene haben oftmals so gute Immunantworten ausgebildet, dass sie Sars-CoV-2 direkt bekämpfen können, bevor das Virus sich vermehrt und Schaden anrichtet«, so die Infektiologin Addo. Die Immunabwehr des Körpers reagiere bereits, bevor ausreichend viele Viren gebildet wurden, die sich auf andere Menschen übertragen könnten.
»Die Viruslast bei ehemaligen Covid-Erkrankten ist viel zu gering, weil die Immunantwort bereits im Mund mithilfe des IgA-Antikörper einsetzt«, meint auch der Münchner Chefarzt Wendtner.
Das würde den immerhin 1,6 Millionen Genesenen in Deutschland ganz neue Möglichkeiten eröffnen: Wenn Ex-Covid-Kranke keine Überträgerinnen und Überträger mehr wären, könnten sie nach ihrer Gesundung theoretisch risikofrei zusammen arbeiten und feiern – sogar mit maximal einem anderen Menschen, der noch kein Covid-19 hatte. Auch die Corona-Regeln wie Maske und Abstandhalten wären für diese Menschen dann eigentlich überflüssig. Oder?
Achtung: Es gibt Ausnahmen
Es gibt Unsicherheiten – die man schon aus den Zitaten der Expertinnen und Experten herauslesen kann: Die »allermeisten«, »viele« beziehungsweise 99 Prozent heißt eben, dass nicht alle Genesenen ungefährlich sind, was die Übertragung betrifft. Die Hamburger Infektiologin Marylyn Addo sagt: »Auch wenn die Gefahr einer Reinfektion niedriger zu sein scheint als die Gefahr der Erstinfektion, ist möglich, dass Covid-19 Genesene sich erneut infizieren«.
Dafür spricht auch eine aktuelle Studie aus Großbritannien, für die Forscherinnen und Forscher Daten von Gesundheitspersonal auswerteten, das regelmäßig auf Sars-CoV-2 getestet wurde. Zwar steckten sich Personen mit einer vergangenen Infektion innerhalb der beobachteten fünf Monate deutlich seltener an als Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die zuvor noch nicht erkrankt waren. Trotzdem stießen die Forscher auch bei den mehr als 6000 Personen mit Antikörpern auf 44 mögliche Zweitinfektionen. Es gebe Hinweise, dass manche der Betroffenen so viele Viren in sich trugen, dass sie andere hätten anstecken können, heißt es in einer Mitteilung zur Studie.
Ein erhöhtes Risiko, sich wiederholt zu infizieren, haben besonders Schwerkranke. »Menschen mit einer Immunschwäche wie Tumor- oder Leukämiekranke haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, sich wieder zu infizieren und dann auch andere Menschen wieder anzustecken«, sagt der Mediziner Wendtner.
Außerdem ist noch nicht geklärt, wie lange die Immunität nach einer überstandenen Covid-19-Erkrankung anhält. Bei Sars-CoV-2 beträgt der längste Zeitraum, den Wissenschaftler bislang beobachten konnten, noch nicht mal ein Jahr. Clemens Wendtner hält ein halbes Jahr für »sehr sicher«, wahrscheinlich länger. Von seinen Patientinnen und Patienten aus dem März habe sich noch niemand wieder neu infiziert.
Ein weiterer Risikofaktor kommt hinzu: Mittlerweile gibt es Mutationen von Sars-CoV-2, beispielsweise in Südafrika und Großbritannien. Bisher können Wissenschaftler noch nicht mit Sicherheit sagen, wie gut die Antikörper auch vor diesen Virusvariationen schützen.
Nicht nur aus Solidarität, sondern auch zum eigenen Schutz sollten sich von Covid-19 Genesene also weiterhin an die Maßnahmen halten – auch wenn’s schwerfällt.
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